Was Sie zunächst wissen sollten…
Die VDI-Richtlinie 4499 Blatt 1 beschreibt das Ziel der virtuellen Inbetriebnahme als das Aufdecken und Beheben von Fehlern aus dem Engineering eines Automatisierungssystems.
In folgenden Fällen findet die Steuerungssoftware Anwendung:
bei Fehlern im Steuerungscode, zum Beispiel bei logischen Fehlern, Tipp- und Kopierfehlern
beim Testen der Bedienoberflächen
bei Ablauffehlern im Steuerungscode, zum Beispiel beim Erzeugen von Kollisionen sowie bei fehlerhaften Freigabe- und Verriegelungssignalen
beim Testen und Validieren des dynamischen Verhaltens der Anlage, zum Beispiel bei Voll- und Leerfahrten, Einricht-, Hand- oder Automatikbetrieb
beim Berücksichtigen von Sonderfällen, zum Beispiel beim Ein- und Ausschleusen von Bauteilen
bei der Validierung der geplanten Anlagenparameter, zum Beispiel bei Taktzeit, Ausbringung oder Verfügbarkeit
bei der gezielten Simulation von Störungssituationen, zum Beispiel bei Kabelbruch oder Sensorausfall
Wie funktionieren virtuelle Inbetriebnahmen?
Für die virtuelle Inbetriebnahme können verschiedene Konfigurationsszenarien beschrieben werden, die sich durch den vertikalen Umfang des Einsatzes von Simulations- und Emulationssystemen unterscheiden. In der Planungsphase kann die Anlagen- und Prozessplanung komplett in einem Simulationssystem (meist ereignisdiskrete Simulatoren) durchgeführt werden. Danach werden die simulierten Planungs- und Steuerungsebenen sukzessiv durch reale Komponenten ersetzt. Diese können damit hinsichtlich Funktionalität, Robustheit und Leistungsfähigkeit getestet werden.
In den einzelnen Ebenen können teilweise noch weitere Zwischenschritte erfolgen. So kann die Entwicklung und Programmierung der SPS zunächst ebenfalls komplett in einem rechnergestützten Modell erfolgen. Danach wird aus dem Modell ein realer Code erzeugt, der auf einer emulierten SPS-Hardware geprüft wird. Dies geschieht bevor zum Schluss die komplette SPS an die emulierte Anlage angeschlossen wird. Um die SPS auch in ihrem Zeitverhalten testen zu können, wird an dieser Stelle häufig auf eine echtzeitfähige Emulation zurückgegriffen.
Das Modell der realen Hardware-Komponente (wie Fördertechnik, Lagertechnik und Kommissioniersysteme) wird auch als digitaler Zwilling bezeichnet. Grenzen für den Einsatz heute sind durch die folgenden Einschränkungen gegeben:
Der Aufwand für die Modellierung ist hoch
Aufgrund von Termin- und Kostendruck wird häufig nicht ausreichend getestet → Dadurch können Fehler erst in der realisierten Anlage auftreten und somit weit größere Kosten und Probleme verursachen
Durch mangelhafte Testplanung und unzureichendes Projektmanagement werden Entwicklungsarbeiten in die Aufbauphase auf der Baustelle verlegt → Die Folge: hohe Kosten und unnötige Zeitverzüge entstehen
Lizenz- und Betriebskosten für die notwendigen Simulations- und Emulationssysteme sind nicht zu vernachlässigen
Was wir daraus schließen können…
Zusammenfassend kann man sagen, dass der Nutzen einer virtuellen Inbetriebnahme eindeutig signifikant ist. Schon heute hat die Entwicklung der Planungs- und Steuerungssysteme einen Anteil von bis zu 50 % bei Anlagenmodernisierungen. Virtuelle Inbetriebnahmen helfen insbesondere dabei im Aufwand als auch in der Realisierungszeit zu sparen. Darüber hinaus ist auch die Auslieferqualität der Anlage hoch und somit das Inbetriebnahmerisiko gering.
Als konsequente Weiterentwicklung der virtuellen Inbetriebnahmen kann auch die Schulung der Mitarbeiter am digitalen Zwilling gesehen werden. Hierbei können die realen Systeme im Rahmen von Virtual Reality- oder Augmented Reality-Anwendungen (VR/AR) modelliert werden und die Interaktion zwischen Menschen und Automatisierungssystemen trainiert werden.